Apfel. Zukunft. Achtsamkeit.Führung 4.0

https://www.akademiesued.org/bildungsangebote/fachtage/detailseite/seminar/3330400.html

Gemeinsam mit Jürgen Boss werde ich auf diesem Gesundheitskongress in Heidelberg am 24.0 April mit einem eigenen Beitrag zum Thema „Leistungssteigerung und Regeneration“ vertreten sein.

Das Thema „gesundes Arbeiten“ und „psychische Gesundheit“ gewinnt seit einigen Jahren deutlich an Wichtigkeit. In zwei Abhandlungen möchte ich mich hier diesem Thema annähern. Der erste Teil dient dem Aufzeigen der Faktenlage und der möglichen Hintergründe. In einem zweiten Teil stelle ich praktische Möglichkeiten für Unternehmen und Mitarbeiter vor.

Was gibt es an aktuellen Fakten zu Burnout und Depression, wie lässt sich der enorme Anstieg an psychischem Leiden in der postmodernen Leistungsgesellschaft erklären? Allein schon die Zahlen geben deutliche Hinweise, dass wir dringenden Handlungsdruck haben. Hier eine kleine Auswahl:

Fokus auf Welt:

Die WHO Studie von 2017 geht davon aus, dass weltweit ca. 322 Millionen Menschen von Depressionen betroffen sind. D.h. mehr als 4,4 % der Welt­bevölkerung und 18 % Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. http://www.oecd.org/els/emp/49227189.pdf

Fokus auf Europa:

Fast 40 % der Europäer sind psychisch krank. Mehr als 160 Millionen Europäer leiden an einer psychischen Krankheit, nur eine Minderheit wird laut einer aktuellen Studie rechtzeitig behandelt. Den Schaden für die Volkswirtschaften schätzen die Forscher auf eine dreistellige Milliardenhöhe – pro Jahr. Das waren Ergebnisse einer Studie von Wissenschaftlerteam um Hans Ulrich Wittchen von der Technischen Universität Dresden.

http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/studie-fast-40-prozent-der-europaeer-sind-psychisch-krank-a-784400.html

Zur Situation in Deutschland:

Zunächst noch einmal die WHO-Studie von 2017. Für Deutschland schätzt die WHO die Zahl der Menschen mit Depressionen auf 4,1 Millionen, das sind 5,2 % der Bevölkerung. Diese Schätzungen gehen auf eine Studie zurück, die in mehreren europäischen Ländern parallel durchgeführt wurde (Alonso et al., 2004).

http://www.oecd.org/els/emp/49227189.pdf

Einer Studie der Techniker Krankenkasse (2016) zufolge fühlen sich 60% der Deutschen ge­stresst und jeder dritte fühlt sich oft ausgebrannt

Aus dem DAK Gesundheitsreport von 2017 geht hervor:

  • Bei den zehn wichtigsten Krankheitsarten an den AU-Tagen liegen „Psychische Erkrankungen“ auf Platz zwei.
  • Jeder zehnte Arbeitnehmer leidet unter schweren Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit und Erschöpfung
  • Die Zahl der Fehltage, wegen psychischen Erkrankungen hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht.

https://www.dak.de/dak/download/gesundheitsreport-2017-1885298.pdf

Einer Studie der Barmer Ersatzkasse 2016 zufolge leidet jeder Vierte im Alter zwischen 18 und 25 Jahren an psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörungen oder Panikattacken. „Allein in den Jahren 2005 bis 2016 ist die Zahl der betroffenen 18- bis 25-Jährigen in Deutschland über alle Diagnosen hinweg um 38 Prozent von rund 1,4 Millionen auf insgesamt 1,9 Millionen gestiegen“, sagte der Barmer-Vorstandsvorsitzende Christoph Straub.

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/depressionen-jeder-vierte-junge-mensch-hat-psychische-probleme-15462273.html

Nach einer OECD-Gesundheitsstudie von 2013 verdoppelte sich innerhalb von 11 Jahren (2000 – 2011) der Konsum von Antidepressiva. Die Menschen in den 33 am höchsten entwickelten Ländern der Welt schlucken mehr und mehr Tabletten. Im Schnitt der 33 OECD-Länder stieg beispielsweise der Konsum der medizinisch umstrittenen Antidepressiva zwischen dem Jahr 2000 und 2011 von 35 auf 56 tägliche Dosen pro 1000 Einwohner. Das geht aus dem von der OECD veröffentlichten Bericht „Gesundheit auf einen Blick“ 2013 hervor.

http://www.oecd.org/els/emp/49227189.pdf

Was sind die Gründe für diese Situation? Das Robert Koch Institut stellt in einer Studie von 2011/12 die Anforderungen und Belastungen der heutigen Arbeitswelt zusammen. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/maennerbericht/kapitel_4_arbeit_gesundheit.pdf?__blob=publicationFile

Demnach sind die Herausforderungen in der Arbeitswelt sind insgesamt massiv gestiegen. Über 50 % der Männer und Frauen sehen einen Grund für ihre psychischen Symptome allein schon in dem starken Termin- und Leistungsdruck in ihrer Arbeitswelt und/oder darin, dass sie gleichzeitig sehr unterschiedliche Aufgaben zu erledigen haben. Auch in meinen Managementtrainings beklagt sich ein großer Teil der Teilnehmer darüber, dass sie kaum noch Möglichkeiten fänden, sich auf ihre Aufgaben wirklich zu konzentrieren. Die Phänomene werden in der Arbeitspsychologie schön viele Jahre im Zusammenhang mit Stress und Überforderung diskutiert.

In einigen neueren Schriften zeitgenössischer Soziologen und Philosophen wird unsere erschöpfte Leistungs-Gesellschaft sehr anschaulich als eine Müdigkeits- und Burnoutgesellschaft beschrieben. (Byung-Chul Han.: Müdigkeitsgesellschaft. Burnoutgesellschaft. Hoch-Zeit. 2016, vlg. für die Analyse der französischen Gesellschaft auch Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst 2004., Alain Ehrenberg: Das Unbehagen in der Gesellschaft 2011, Zygmunt Bauman: Flüchtige Moderne 2011 oder ebenfalls von Zygmunt Bauman: Retrotopia 2017) Der koreanische Philosoph Byung-Chul Han erklärt sich den enormen Anstieg psychischer Störungen in den Industrieländern damit, dass die Gesellschaft des 21. Jh. “nicht mehr die Disziplinargesellschaft, sondern eine Leistungsgesellschaft (ist). Auch ihre Bewohner heißen nicht mehr Gehorsamssubjekte, sondern Leistungssubjekte. Sie sind Unternehmer ihrer selbst.“ S.19 Weiter führt er aus: „An die Stelle von Verbot, Gebot oder Gesetz treten Projekt, Initiative und Motivation. Die Disziplinargesellschaft ist noch vom Nein beherrscht. Ihre Negativität erzeugt Verrückte und Verbrecher. Die Leistungsgesellschaft bringt dagegen Depressive und Versager hervor.“ S. 20. Seiner Analyse nach erleben immer mehr Menschen, dass sich „das Gefühl, ein endgültiges Ziel zu erreichen, nie ein(stellt) …. Der Leistungszwang nötigt es (das Subjekt) dazu, immer mehr Leistung hervorzubringen. So kommt es nie zu einem ruhenden Punkt der Gratifikation. Es lebt permanent in einem Gefühl des Mangels und der Schuld Da es letzten Endes mit sich konkurriert, versucht es sich selbst zu überholen, bis es zusammenbricht. Es erleidet einen psychischen Kollaps, den man „Burnout“ nennt. Das Leistungssubjekt verwirklicht sich zu Tode. Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung fallen hier in eins.“ S. 70. Das Ende ist somit vorhersehbar: „Das Ich führt Krieg mit sich selbst. In diesem Krieg kann es keine Sieger geben, denn der Sieg endet mit dem Tod des Siegers. Das Leistungssubjekt zerbricht am Sieg.“ S. 83

Han folgend haben wir die Erwartungen und Leistungsansprüche der industriellen Welt vollkommen verinnerlicht. Wir sind nur dann noch mit uns zufrieden, wenn wir immer mehr, immer besser, immer schneller „liefern“. Anerkennung verdienen wir uns nicht mehr dadurch, dass wir die geäußerten Erwartungen unserer Vorgesetzten, Kunden und Kollegen erfüllen, sondern wenn wir sie – proaktiv – glücklich machen können. Diesen Anspruch erleben wir nicht mehr als einen Anspruch von außen, er ist zu einer Erwartung an uns selbst geworden. Unser Selbstwert ist mehr und mehr abhängig davon, ob wir in der Lage sind, im wahrsten Sinne „Unmögliches“ zu leisten. Gewöhnliches – kann jeder. Anerkennung (vgl. zum Begriff „Anerkennung“ Axel Honneth: Das Ich im Wir: Studien zur Anerkennungstheorie. Suhrkamp, Berlin, 2010) bekommt aber nur der, der auch dann nicht scheitert, wenn er sich Herausforderungen gegenübersieht, die nicht mehr zu meistern sind.

Der Teufelskreis ist also folgender:

1. Um vor uns selbst zu bestehen, uns selbst Anerkennung geben zu können, formulieren wir (am Ende übersteigerte) Erwartungen an uns, die wir zwar – mal ausnahmsweise – aber nicht generell erfüllen können.

2. Wir erfahren, dass wir diesen hochgesteckten Zielen nicht gerecht werden können, sind überfordert und erleben uns als defizitär und schwach.

3. Wir beginnen uns selbst abzuwerten, uns dafür zu geißeln, dass wir uns angesichts dieser Herausforderungen „so anstellen“.

4. Wir versuchen uns noch mehr anzustrengen, schwächen uns noch mehr, merken dass wir es nicht schaffen. Am Ende steht unser Scheitern, unser individuelles Versagen, und wir sind im Land des Burnout und der unendlichen Müdigkeit angekommen.

In einem weiteren Beitrag werde ich im 2. Teil darlegen, was angesichts dieser Situation getan werden kann.